Liebes Glückskind,
Kennst Du das? Es ist etwas passiert, das unangenehme Gefühle in Dir auslöst und Du weißt eigentlich gar nicht so recht, wie Du jetzt damit umgehen kannst, damit sich Dein Zustand zum Besseren verändert?
Es gibt tatsächlich eine Art wie wir mit diesen Gefühlen umgehen können, die zur Erleichterung führt, ohne dass wir viel darüber nachdenken müssen und auch ohne, dass wir jemand anderen dazu brauchen.
Wenn Du etwas über die Kunst des Fühlens erfahren möchtest, dann kann Dir die elf-jährige Mia eine spannende Geschichte erzählen und Du bekommst eine Anleitung in sechs Schritten, die Du gleich mal ausprobieren kannst.
Die verschwundene Kiste
Mia nimmt an einem Ferienkurs teil. Sie hat am Nachmittag alle Trickfilmfiguren in eine Kiste geräumt und wieder an ihren Platz im Regal verstaut. Kurz bevor der Kurs zu Ende ist, kommt Thomas, der Kursleiter, auf sie zu und will wissen, wo die Kiste hin ist. Als Mia ihm den Platz im Regal zeigt, ist dieser leer. Der Kursleiter war den ganzen Tag schon etwas gereizt und jetzt beschuldigt er Mia, die Kiste irgendwohin geräumt zu haben und sie solle gefälligst suchen, denn die Figuren würden heute Abend von einer Kollegin abgeholt und für einen Workshop am nächsten Tag gebraucht. Mia sucht überall – die Kiste war verschwunden. Der Kursleiter schickt das Mädchen nachhause – immer noch verärgert.
Mia fühlt sich entsetzlich! Zuhause angekommen geht sie in ihr Zimmer und ärgert sich darüber, wie ungerecht sie gerade behandelt wurde. Sie spielt die ganze Situation mehrmals in ihrem Kopf durch. Doch das Nachdenken über die Situation verschafft ihr keine Erleichterung.
Sie versucht sich abzulenken und ein paar Videos auf TikTok anzusehen. Aber auch das schafft nur kurzzeitigen Zeitvertreib. Die unangenehmen Gefühle toben nach wie vor in ihr.
Die Kunst des Fühlens – Dein Körper weiß die Antwort.
Da erinnert sie sich an eine Übung, die sie in einer Projektwoche an ihrer Schule gelernt hatte. Die Kunst des Fühlens – Dein Körper weiß die Antwort. In diesem Kurs ging es darum, dass die beste Art und Weise mit den eigenen Gefühlen umzugehen die ist, sie direkt zu erleben. Jedes Thema oder Problem, dass uns beschäftigt macht in uns eine körperlich spürbare Resonanz oder man könnte auch sagen löst in uns eine gefühlsmäßige Atmosphäre aus. Der Trick besteht nun darin, alle Gedanken, die wir zu diesem Problem haben für einen Moment beiseitezustellen und das, was wir erleben, ganz unmittelbar in unserem Körper zu spüren. Die Erfahrung zeigt, dass so ein Prozess beginnt, bei dem sich unsere Gefühle ganz von selbst hin zu Erleichterung, mehr Klarheit und Wohlgefühl bewegen und verändern.
Eine liebevolle Beziehung zu den eigenen Gefühlen entwickeln
Mia kann sich besonders daran erinnern, wie wichtig es ist eine gute und liebevolle Beziehung zu den eigenen Gefühlen zu haben, während man sie erlebt. Oft bewerten wir unsere Gefühle und haben eine Stimme in uns, die uns zum Beispiel sagt, dass wir uns nicht so anstellen sollen. Auch ist es ratsam, sich selbst keinen Druck zu machen und mit aller Gewalt etwas verändern zu wollen. Vielmehr macht es eine gute Atmosphäre, wenn wir geduldig und absichtslos einfach alles annehmen, was in uns passieren möchte und darauf vertrauen, dass der Körper selbst die Antwort kennt. Und der letzte Rat ist es, nicht in unseren Gefühlen zu ertrinken. Es ist gut innerlich ein wenig Abstand zu behalten zu dem, was in uns passiert und sich klar zu sein: Wir sind nicht unsere Gefühle – wir erleben sie nur.
Die Kunst des Fühlens in sechs Schritten
lehnt sich an die Selbsthilfe-Methode des „Focusing“ des amerikanischen Psychotherapeuten Eugene T. Gendlin an und ist in seinem Buch nachzulesen: Focusing: Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme.

- Äußeren und inneren Raum schaffen
Nimm Dir etwa eine halbe Stunde Zeit, in der Du ungestört bist – zum Beispiel in Deinem Zimmer. Mach Deinen Familienmitgliedern freundlich klar, dass sie Dich die nächste halbe Stunde bitte nicht stören sollen. Lege oder setzte Dich bequem hin.
Nun richte die Aufmerksamkeit auf Deinen Körper. Nimm Deinen Atem wahr und spüre, wie Du auf deiner Unterlage liegst oder sitzt. Vielleicht gibt es mehrere Themen, die Dich gerade innerlich beschäftigen. Du kannst diese Themen in Gedanken einfach nach und nach bei Seite stellen.
Jetzt nimm Dir das aktuelle Thema vor, zu dem Du Deine Gefühle näher erforschen möchtest. Es gibt bestimmt eine Reihe von Gedanken, die Du Dir dazu schon gemacht hast. Nimm alle Gedanken zusammen, packe sie in Deiner Fantasie in eine Schale oder in ein Kästchen und stelle sie so weit weg, dass das Thema für jetzt den richtigen Abstand zu Dir hat.
Komm mit Deiner Achtsamkeit nochmal zurück zu Deinem Körper und nimm Deinen Atem wahr. Erlaube Dir, Dich für ein paar Atemzüge befreit zu fühlen.

2. Wie fühlt sich das Thema körperlich an
Wenn Du jetzt zu Deinem Thema blickst, dann fühle in Dich hinein und stell Dir die Frage, wie sich dieses Thema als Gesamtheit körperlich anfühlt. Spüre in Deinen Bauch- und Brustraum und beobachte welche Atmosphäre in Dir entsteht. Nimm Dir wirklich Zeit, liebevoll und geduldig mit Dir in Kontakt zugehen und einfach eine Weile in dich hineinzulauschen. Es wird sich ein noch unklares vages Gefühl einstellen, eine Art Gesamtstimmung zu Deinem Thema. Bleibe eine Weile dabei und atme bewusst.
3. Finde einen Ausdruck für dieses körperliche Erleben
Langsam wird das Erleben in Deinem Körper deutlich spürbar und Du kannst ein Symbol finden für das, was Du empfindest. Das kann ein Bild sein, ein Wort, ein bestimmtes Gefühl oder eine Körperempfindung. Vielleicht ist es auch erstmal nur eine Geste oder ein Laut.
In Mia taucht das Wort „Enge“ auf. Sie hat das Gefühl, dass ihr Brustkasten zusammengedrückt wird, so dass ihr das Atmen schwerfällt.
4. Zwischen dem Ausdruck und dem körperlichen Erleben hin und her gehen
Versuche nun Dein inneres Erleben zu beschreiben und dann immer wieder zum Körper zurückzugehen und zu sehen, ob diese Beschreibung passt. Es wird nun ein Prozess beginnen, bei dem Du immer treffendere Beschreibungen findest und die Empfindungen in Deinem Körper beginnen sich zu verändern. Bleibe mit Deiner ganzen Aufmerksamkeit bei Deinem inneren Erleben und versuche immer wieder einen Ausdruck oder eine Beschreibung zu finden, für das was Du fühlst. Es ist also eine Hin- und Her-Bewegung zwischen direktem Erleben und einen Ausdruck dieses Erlebens zu finden.
Mia spürt diese Enge in sich und es taucht ein Bild auf, als müsse sie durch eine schmale Höhle.


5. Fragen stellen
Um diesen Prozess zu unterstützen kannst Du nun Fragen an Deinen Körper richten. „Welche Farbe hat das Gefühl?“, „Wo genau im Körper kann ich etwas fühlen?“, „Hat es eine bestimmte Stimmung?“, „Was ist das Schlimmste daran?“, „Was würde es brauchen, damit ich mich besser fühle?“ Wenn Du diese Fragen an Deinen Körper richtest, gib ihm immer genug Zeit und Vertrauen, die Antwort von selbst zu finden. Wenn Du einen Ausdruck ein Symbol gefunden hast, geh wieder zurück zu Deinem Erleben. Nimm jede Veränderung war und gib ihr einen Ausdruck. Im Laufe der Zeit wirst Du eine körperlich spürbare Erleichterung wahrnehmen.
In Mia kommt der Satz: „Ich fühle mich ungerecht behandelt und bin ganz allein auf der Welt.“ Ein Gefühl der Angst steigt in ihr auf. Die Angst ist wie ein dunkler Schleim, der sich um sie herum legt.
Sie bleibt eine Weile bei dem Gefühl und fragt in ihren Körper: „Was würde es brauchen, damit ich mich besser fühle?“ Sie lauscht in ihren Körper. Langsam wird der Schleim um ihre Brust immer heller. Auch seine Beschaffenheit verändert sich. Er fühlt sich jetzt mehr an wie ein flauschiges Fell. In Mia steigt das Bild auf, dass sie einen Teddybären in ihren Armen hält. Sie atmet tief durch und fühlt sich plötzlich erleichtert. Ihr Körper entspannt sich und es steigt ein Gefühl der Liebe und Geborgenheit in ihr auf.


6. Annehmen und wertschätzen
Nach etwa 20 Minuten nimm die entstandene Erleichterung in Deinem Körpergefühl deutlich wahr. Gib ihr vielleicht einen Namen, so dass Du Dich daran erinnern kannst, und fühle diese Erleichterung einfach für ein paar Minuten in Deinem Körper. Schenke diesem Prozess Dankbarkeit und Wertschätzung und komme langsam wieder aus Deinem Prozess heraus.
Mia gibt ihrem Gefühl den Satz: „Ich bin geliebt, was immer auch geschieht“. Sie fühlt eine Freude um ihr Herz und das möchte sie sich bewahren. Lange spürt sie dieser Erleichterung nach, bis sie langsam die Augen öffnet und aus der Übung auftaucht.
Mia weiß, dass das Ergebnis dieser Übung diese körperlich spürbare Erleichterung ist. Es geht nicht darum im Nachhinein etwas zu verstehen oder zu begreifen. Sondern diese Veränderung ihres Zustands ist schon alles, was passieren sollte. Es ist, als ob manche Erlebnisse eine innere Blockade in uns auslösen. Wenn man sich jedoch sich selbst gegenüber liebevoll, achtsam und absichtslos zuwendet, kann sich diese Blockade wie von selbst auflösen. Die Erfahrung ist, wenn wir auf diese Weise mit unseren Gefühlen in Beziehung gehen, kann sich etwas in uns entspannen, lösen, klarer werden, sich bewegen und verändern. Und das ist ein ganz natürlicher Prozess in unserem Körper. Wie eine Pflanze, die ganz von allein wächst, wenn man für sie die richtigen Bedingungen schafft, können sich unsere Gefühle selbst befreien, wenn wir ihnen diese liebevolle Zuwendung schenken.
Mia ist jetzt bereit auch am nächsten Tag wieder in den Ferienkurs zu gehen. Als sie ankommt, empfängt sie gleich Kursleiter Thomas und entschuldigt sich aufrichtig bei ihr. Am Vorabend hatte die Kollegin längst die Kiste mit den Trickfiguren abgeholt. Es war nicht Mias Schuld, dass sie verschwunden war. Mia kann sich sogleich an ihr freudvolles Körpergefühl zurückerinnern und den Satz: “Ich bin geliebt, was immer auch geschieht“. Sie nimmt die Entschuldigung an.
Ein Beitrag von Vera Lohmüller
Damit das Glück weiter geteilt wird, schreibt uns doch gern Eure Erfahrungen mit den Glücks-Aktionen: Was funktioniert besonders gut, mit wem macht Ihr die Übungen etc.? Wir freuen uns auch über Anregungen und Ideen oder Fotos von Euren Ergebnissen: glueck@spielkultur.de
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